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¬ zwischending (journeys through Germany)
Die Rhön. Da wo der Sperrstreifen wie ein L auf der Karte liegt. Wo man
Kolonnenwege findet
und Wachtürme mit aufgebrochenen Türen,
wo breite Strassen plötzlich zum Feldweg werden, wo Wildschweine Löcher
buddeln und in sauberer
Linie vorm Auto kreuzen, wo sich Senioren am Sonntag zum Walzertanzen treffen
und es zum Kaffee Kondensmilch gibt.
Wo sich Lastwagen durch Dörfer quälen und wo Schäfer noch ein
Beruf ist. Wo es Platz hat und Land soweit das Auge reicht
und Kneipen in denen der Patriarch der Türsteher ist, wo die Männer
saufen und die Kinder spielen,
wo meistens zu ist und trotzdem offen.
Wo leerstehende Kolchosen träge in die Landschaft gähnen und die Häuser
klein sind.
Wo es nachts so richtig dunkel wird und still bis zum nächsten Morgen.
Wo sich links und rechts der Linie die Menschen zwar verstehen, sich aber nicht
verstehen wollen.
Wo man Ruhe findet aber keinen Job. Wo man bleibt, wenn man alt ist
und lieber woandershin geht, wenn man jung ist. Der Landschaft ist das egal.
Und zeigt mir wie es ist.
27.11.2003
Im Grenzland zieht sich zwischen den Dörfern ein Ost oder West dahin,
vom Erzgebirge
bis zur Ostsee. Den Osten erkennt man an Gebäuden, die sich sterbend irgendwo
abstützen, in der Mitte schon hohl.
Da sehen Sie wie man früher gebaut hat, so eine ältere Dame in Meiningen,
und das Haus, wo früher eine
Wirtschaft drin war, ist jetzt verwaist und hat keine Fenster mehr.
Kalt eben, wie die Winterluft, die sich über den Marktplatz legt.
Schaut man über die Rhön, sieht der Westen nicht anders aus, nur
die nachgebenden Dächer und Fensterhöhlen fehlen hier.
Im Westen war hier Ende Gelände, im Osten war Sperrzone. Beides hängt
den Dörfern bei als Erinnerung und dass es eben so war.
Eben so ist. Und irgendwie auch so bleibt.
0 4.12.2003
Wer die Grenze sucht, findet sie nicht da wo sie zu sein scheint, als minengeräumtes
Band irgendwo den Hängen entlang,
eher im Misstrauen, das dir vom Stammtisch entgegen schlägt, ungnädig
und starr, zumindest anfangs.
Die Zeit bildet sich aus dem gelbschwefligen Geruch der Grablichter, rotflackernd
zu Füßen der Kirche, und ich denke mir, die Kirche
ist für das Dorf was der Kamin für das Haus.
Wer sich dieser Zeit hingibt, hat keinen Grund seine Heimat zu verlassen, die
Belohnung ist ein weiter freier Blick über die Rhönkuppen,
wo sich die Schlehenbüsche in die Trockenwiesen setzen und darüber
spielt sich dann das Wetter ab.
Die Jugend kotzt das irgendwie an, da pulst eine tiefergelegte Kachel heran,
überholt wie damals auf der Carrera-Autobahn und haftet
durch die Kurve und wird gleich verschluckt von der Landschaft wie die schnellen
Kollegen, auf die zahllose Kreuz-und-Blumen-Szenarien
hinweisen.
04.12.2003
Diese Nacht ist derart still, dass sie leer wirkt, still wie die Kälte
und der Sternenhimmel darüber, jedes Restgeräusch vom Wald verschluckt.
Jetzt ist es zu spät für Autos, und warm ist es nur unter der Decke
und drumrum legt sich der Frost.
Man könnte überall einfach hingehn, irgendwo einfach anklopfen, weil
man ja nichts plant, und sehen was passiert, schroff willkommen geheissen
im Hinterhof des Gasthauses, mit dem Charme von Kondensmilch verabschiedet,
aber wer will denn seine Wurzeln offen legen und sich einer
Wertung des bisherigen Lebens aussetzen?
06.12.2003
Im Cafe sitzen ein gutmütiges Pärchen, ältere Damen, eine wasserstoffblonde
Schlanke mit spitzen Stiefeln, ein unglaublich roter,
runder schlechtrasierter Kopf, der sich hin und wieder zu mir wendet und H.
am selben Tisch wie ich,
Augen so klar wie die Schnäpse die er kippt, aber trauriger.
Zu meiner Rechten schaut die Dame verächtlich zum hinzugekommenen Rechtsaussen,
der in gotischen Schriftzügen in sein Handy spricht,
man trifft sich irgendwo. H.s Augen Flackern für Sekunden unbehaglich,
die Bedienung zeigt sich unbeeindruckt. H. ist ein freundlicher Mensch,
dem ich aber mittlerweile nur noch schwer folgen kann,wie der Alkohol sich langsam
auf seine Zunge legt.
Also: Lass es dir gut gehn. Der Abschied ist ein Händedruck.
07.12.2003
Der Weihnachtsmarkt erstreckt sich, aufgeteilt in Sektoren von Weihnachtliedern
aus der Dose, über die Stadtmitte.
Niemand ist hier Nachbar, so scheint es, und niemand hat sich hier ein Denkmal
gesetzt.
Meiningen fasziniert und ich frage mich, was hinter der Stoizität steckt,
mit der der Verfall der volkseigenen Stadt so
lange hingenommen worden ist. Auch für die Häuser gilt: Wenn dich
niemand will kannst du dich nur hinlegen und sterben..
08.12.2003
Viel Geld muss in die Gehsteige der Dörfer geflossen sein, die Dorfmitte
einer Kur unterzogen, und dann, am Wohnrand steht noch die DDR,
sperrig und spröde, aber das ist nur die Fassade, mausgrau und bräunlich.
Weiter unten vertreiben Nachbarn Otto, Quelle, Neckermann, und es scheint,
überall sei der gleiche Hund am Streunen.
Dass im antikapitalistischen Staat der Einkaufladen "Consum" hieß
fand ich schon immer bizarr, heute dagegen heisst er "Netto",
der Laden mit dem freundlich-gelben Angebot.
09.12.2003
Geschichtliches schleicht um Berlin wie Kondensat. Ich lese:
Wir pinseln unserer Zeit hinterher, doch es hilft nichts:
im Nachlass als Vergeltung ein Katalog mit vielen bunten Bildern drin, irgendwie
bereits 1970 gestorben und irgendwie retro.
Der Auftrag: Mehr Arbeit, united lonelyness, in Erwartung der Ereignisse die
Pflege der deutschen Träume:
Grosses und abschliessend noch eine persönliche Frage, die Tür geht
auf und ein anderer riesenhafter Wahnsinn lauert dir auf, muss man aufpassen,
sagt mir ein Freund.
10.12.2003
Hinter Forst gibt es einen Ort namens Grosse Bademeusel direkt an der Grenze
zu Polen
von wo einst eine alte Pflasterstein-Allee über die Neisse führte.
In der Verlängerung der
gesprengten Brücke ist die ehemalige Strasse nur noch zu erahnen, denn
die Alleebäume
sind mittlerweile von Wald umgeben.
Die Neisse erscheint schmal und idyllisch mit unbekanntem
Vogelgeschrei und der Nebel kriecht übers Schwemmbebiet.
Natürlich klopft dort auch der Grenzschutz an die Tür, und ich frage
mich
wie das denn so ist als Eurobürger, mit deutschem Pass und englischem Auto.
Ich solle besser die Tür abschliessen, man wisse ja nicht wer da so unterwegs
ist.
Und ich denke an meinen am Arsch der Welt Platz und sage, in der Stadt
hats auch jede Menge Wahnsinnige, da find ichs gefährlicher.
Und schon kommt der Scheff und sagt ja, nun, alles in Ordnung,
sie müssen verstehn, Routinekontrolle, ist jetzt zwar Eurozone aber man
muss ja trotzdem kucken.
Das nahm ich dann halt so hin. Nett waren sie ja. Und irgendwie dacht ich bei
den Jungen, und
unerfahren.
Und dann Richtung tschechische Grenze zum Erzgebirge, vorbei an Bautzen und
dem Kombinat
Schwarze Pumpe mit Robur Lastern auf der Strasse: ganz wie früher.
17.06.2004